Kaum ein Thema wird derzeit so intensiv diskutiert wie das Handyverbot an Schulen oder ein generelles Social-Media-Verbot für Jugendliche unter 16 Jahren. Für Kinder und Jugendliche gehören Smartphones und soziale Medien selbstverständlich zum Alltag. Sie kommunizieren, vernetzen und informieren sich darüber, lassen sich inspirieren, lernen Neues und suchen Unterhaltung. Gleichzeitig sind sie mit Risiken konfrontiert – wie Mobbing, ständige Ablenkung, nicht altersangemessene Inhalte oder eine exzessive Nutzung. Digitale Medien sind damit ambivalente Werkzeuge. Sie bieten einerseits Chancen und sind Alltagshelfer, andererseits sind mit ihnen Herausforderungen verbunden, mit denen es umzugehen gilt.
Schutz allein reicht nicht
Die UN-Kinderrechtskonvention (UN-KRK) gilt in Deutschland seit 1992 und verpflichtet unter anderem dazu, Kinder und Jugendliche zu schützen – etwa durch das Recht auf Kindeswohl und vor Gewalt. Ein Handy- oder Social-Media-Verbot wirkt auf den ersten Blick wie eine naheliegende Lösung: Wenn es keine Handys in der Schule gibt, werden Schüler*innen nicht abgelenkt. Kinder und Jugendliche starren nicht permanent auf den Bildschirm oder stoßen unbeabsichtigt auf Gewaltvideos, wenn Social Media erst ab 16 Jahren genutzt werden darf. Doch so einfach ist es leider nicht. Denn die Konvention verpflichtet ebenso dazu, Kinder und Jugendliche zu fördern – in Bezug auf ihre Entwicklung, Bildung und mehr. Wenn es um ihre Mediennutzung geht, sind viele Kinder und Jugendliche auf sich allein gestellt. Dabei brauchen sie Begleitung, Reflexionsräume und konkrete Unterstützung, um digitale Medien sicher und sinnvoll nutzen zu können. Ein pauschales Handyverbot in der Schule würde die Verantwortung für die Medienerziehung auf das Elternhaus und die Familie schieben – doch nicht jede Familie kann eine adäquate Begleitung der Mediennutzung leisten.
Neben der Förderung spielt auch die Beteiligung eine Rolle. Kinder und Jugendliche haben das Recht auf freie Meinungsäußerung, Zugang zu Informationen und darauf an Entscheidungen, die sie betreffen, mitzuwirken. Würden sie erst mit 16 Jahren Social-Media-Plattformen nutzen können, wären sie in ihren Beteiligungsrechten erheblich eingeschränkt.
Pauschale Verbote verschieben Probleme nur, anstatt sie nachhaltig zu lösen. Digitale Medien spielen schließlich nicht nur in der Kindheit und Jugend eine Rolle, sondern überall im Alltag – auch im späteren Arbeitsleben.

Kinderrechte im digitalen Umfeld
Im Jahr 2021 veröffentlichte die UN die Allgemeine Bemerkung Nr. 25 zur Kinderrechtskonvention. Diese erläutert, wie die Rechte der Kinder in Bezug auf das digitale Umfeld zu interpretieren sind. An der Ausarbeitung waren auch Kinder beteiligt. Die deutsche Übersetzung ist bei Kinderrechte.digital nachzulesen.
Medienpädagogische Begleitung als Schlüssel
Medienbildung setzt bei den Kinderrechten an. Ihr Ziel ist es, Medienkompetenz von Kindern und Jugendlichen umfassend zu fördern und ihnen eine aktive Teilhabe an der Gesellschaft zu ermöglichen. Digitale Medien spielen dabei eine zentrale Rolle, denn sie eröffnen Räume für Information, Kommunikation und Mitgestaltung. Medienpädagogische Angebote unterstützen Kinder und Jugendliche darin, vielfältige Formen der Mediennutzung zu erproben und kritisch zu reflektieren. So lernen sie, ihre eigenen Schutzbedürfnisse zu erkennen und wirksame Strategien im Umgang mit Risiken zu entwickeln.
Medienbildung sollte Teil formaler Bildung, also von Schule, sein. Aber auch Jugendeinrichtungen sind wichtige Orte, in denen Kinder und Jugendliche lernen, mit digitalen Medien kritisch, reflektiert und kreativ umzugehen. Es bedarf gezielter Aus- und Weiterbildung von pädagogischen Fachkräften, um dies kompetent leisten zu können.
Eltern sind ebenfalls Akteur*innen der kindlichen Medienerziehung und müssen dabei unterstützt werden. Sie benötigen niederschwellige Informationsangebote, denn auch sie sind oft unsicher und keine Expert*innen.
Kinder und Jugendliche müssen die Chance haben, ihre Mediennutzung zu reflektieren, Strategien im Umgang mit Risiken zu entwickeln und digitale Räume aktiv mitzugestalten. Dabei ist ihre Expertise bezogen auf die eigenen Lebenswelten zu berücksichtigen. Medienkompetenz ist mehr als technisches Wissen. Sie stärkt auch Selbstwert, Resilienz und Reflexionsfähigkeit – zentrale Lebenskompetenzen, die weit über den digitalen Raum hinausgehen.
Von Verboten zu Verantwortung
Wie oben geschildert, würde ein generelles Social-Media-Verbot fundamentale Rechte junger Menschen einschränken: Meinungsfreiheit, Informationszugang und digitale Teilhabe. Gleichzeitig würde es den Blick von einer überfälligen Regulierung internationaler Plattformen und der Schaffung von sicheren digitalen Räumen ablenken.
Wir wissen aus analogen Medienbereichen, dass Alters- und Zugangsbeschränkungen sinnvoll wirken können. Im digitalen Raum aber versagen viele Regulierungsmechanismen: Sperren werden umgangen, illegale Inhalte tauchen schnell wieder auf. Statt Kindern ihre Rechte zu beschneiden, müssen Plattformanbieter stärker in die Pflicht genommen werden, mit klaren Altersgrenzen, wirksamen Schutzmechanismen und einer altersgerechten Gestaltung sozialer Räume.
Forschung zeigt: Verbote sind nicht die Lösung
Die jüngsten wissenschaftlichen Erkenntnisse bestätigen die Kritik an pauschalen Verboten. Die Studie „Social Media Use in Adolescents: Bans, Benefits, and Emotion Regulation Behaviors“ von Kelsey L. McAlister und Kolleg*innen zeigt: Die Auswirkungen von Social-Media-Nutzung sind vielschichtig und hängen stark von Kontext und individueller Resilienz ab. Ein pauschales Verbot wäre unangemessen. Vorgeschlagen wird, Regulierungen so zu gestalten, dass sie differenziert sind: abhängig vom Alter, von individuellen Vulnerabilitäten, vom Typ der Nutzung und den Kontext.
Auch die Universität Manchester weist darauf hin, dass ein Social-Media-Verbot eine falsche Sicherheit schafft und vom Kern des Problems ablenkt. Jugendliche würden demnach beispielsweise auf alternative, schwerer zu überwachende Plattformen ausweichen. Außerdem kann ein Verbot den Zugang zu wichtigen sozialen Räumen beschneiden und Kinder gerade aus benachteiligten Haushalten weiter isolieren.
Das Leibniz-Institut HBI betont zusätzlich die praktischen und rechtlichen Hürden eines Verbots in Deutschland. Stattdessen wird empfohlen, den im Digital Services Act (DSA) verankerten risikobasierten Ansatz konsequenter umzusetzen. Anstelle pauschaler Verbote seien Maßnahmen sinnvoller, die langfristig Wirkung entfalten: die Förderung von Medienkompetenz, die altersgerechte Gestaltung von Plattformen sowie strukturierte Vorsorge- und Schutzmechanismen. Nur so lässt sich ein wirksamer und zugleich verhältnismäßiger Schutz junger Menschen gewährleisten, ohne ihre Rechte auf Teilhabe und freie Meinungsäußerung unverhältnismäßig einzuschränken.
Auch Fachverbände wie die Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur e.V. (GMK) und der Verband der Sonderpädagogik Schleswig-Holstein (vds SH) positionieren sich klar gegen pauschale Handyverbote. In ihrem gemeinsamen Positionspapier fordern sie pädagogisch fundierte Konzepte, die Kinder beteiligen und an ihrer Lebenswelt orientiert sind. Ihre neun Forderungen reichen von der Verankerung von Medienbildung in Lehrplänen über den Einsatz von Medienpädagog*innen bis zur gezielten Elternarbeit.
Fazit
Handy- und Social-Media-Verbote mögen auf den ersten Blick einfache Lösungen versprechen, tatsächlich aber schaden sie mehr, als sie nützen. Sie nehmen Kindern wichtige Teilhaberechte, während die eigentlichen Probleme ungelöst bleiben. Stattdessen braucht es eine klare Haltung: Medienkompetenz ist Lebenskompetenz. Schulen und pädagogische Einrichtungen müssen Orte sein, an denen Kinder und Jugendliche lernen, digitale Medien selbstbestimmt, kritisch und kreativ zu nutzen. Nur so können wir sie stärken, schützen und befähigen, für eine digitale Gegenwart und Zukunft, die sie aktiv mitgestalten.
Anna Böker