Ich sehe das, was du siehst – Meta und TikTok geben Einblicke in Empfehlungssysteme

07.09.2023 | Aktuelles

In einer Hand ist eine durchsichtige Kugel, die die Straße im Hintergrund widerspiegelt.

Bildquelle: unsplash.com

Zum Geschäftsmodell von Social-Media-Plattformen gehört es auch, User*innen einen auf ihre Interessen zugeschnittenen Feed zu präsentieren. Im Zuge des Digital Services Act klären Meta und TikTok darüber auf, welche Daten in diese Personalisierung einfließen und stellen Funktionen für eine selbstbestimmtere Social-Media-Nutzung vor. Teil 2 unserer Themenreihe “KI und Social Media”.

Am 25. August 2023 war es so weit: Der Digital Services Act (DSA) ist in Kraft getreten – zunächst für die als „sehr groß“ eingestuften Plattformen. Mindestens 17 Plattformen, darunter Meta, TikTok, YouTube, Twitter (X), aber auch Google oder Wikipedia, sind nun verpflichtet, die entsprechenden Forderungen des EU-Gesetzesentwurfes zur Regulierung digitaler Dienste umzusetzen.

Insgesamt soll der DSA dafür sorgen, dass demokratische, europäische Werte auch im Internet durchgesetzt werden. Plattformen müssen unter anderem Mechanismen zur Meldung illegaler Inhalte einrichten, dürfen keine personalisierte Werbung mehr an Minderjährige ausspielen und stehen in der Verantwortung für den Verkauf gefälschter Produkte.

Darüber hinaus beziehen sich viele Pflichten auf eine erhöhte Transparenz: Geschäftsbedingungen müssen für User*innen verständlich sein, Forscher*innen müssen Zugriff auf die Datensammlung der Plattformen erhalten. Zudem muss es User*innen der Plattformen rechtlich möglich sein, herauszufinden, aus welchem Grund bestimmte Inhalte in ihren persönlichen Feeds ausgespielt werden. User*innen müssen darüber hinaus auf ein solches persönliches Empfehlungssystem verzichten können. So können sie selbstbestimmt über die Inhalte in ihren Feeds bestimmen und werden bei der Meinungsbildung weniger durch Empfehlungssysteme beeinflusst. Gerade für Kinder und Jugendliche sind diese Funktionen wichtig, um auf Social Media vielfältige Inhalte wahrnehmen zu können und die Gefahr einer einseitigen Meinungsbildung zu verhindern. Meta und TikTok haben dabei schon neue Funktionen vorgestellt – wir haben uns diese einmal angesehen.

TikTok führt chronologischen Feed ein

Die Plattform TikTok hat in einer eigener Pressemitteilung darüber berichtet, mit welchen neuen Funktionen sie den EU-Forderungen nachkommen. Interessant sind dabei insbesondere die Funktionen, die sich auf den „Für-Dich-Feed“ (For You Page), das „Herzstück“ der TikTok-Rezeption, beziehen.

Der “Für-Dich-Feed" (For You Page) auf TikTok

Der Für-Dich-Feed erscheint direkt beim Öffnen der App und zeigt scheinbar wahllos Kurzvideos an. Die Reihenfolge der Kurzvideos wird allerdings durch ein Empfehlungssystem festgelegt. Algorithmen werten dabei verschiedene Daten aus, wie beispielsweise Interaktionen (Likes oder Kommentare), Videoinformationen (Sounds, Hashtags und Unterschriften), aber auch Einstellungen, die sich auf das Land, die Sprache oder das Gerät beziehen. Durch statistische Analysen entscheiden Algorithmen dann, welches Video den*die User*in interessieren könnte und spielen dieses aus, um die Person möglichst lange auf der Plattform zu halten.

Nun stellt TikTok Funktionen zur Verfügung, die User*innen mehr Selbstbestimmung und thematische Vielfalt ermöglichen sollen. In ihren Profileinstellungen (im Bereich „Inhaltspräferenzen“) lassen sich beispielsweise „Personalisierte Feeds“ ein- oder ausschalten. Laut TikTok erscheinen bei Deaktivierung der Funktion auf der For-You-Page die Kurzvideos dann nach Beliebtheit des Kurzvideos oder der Creator*in im jeweiligen Land und nicht mehr basierend auf den eigenen Interessen. Gehen User*innen auf den „Folge Ich“-Feed werden bei deaktivierter Personalisierung die Inhalte der Personen, denen sie folgen, in chronologischer Reihenfolge angezeigt. Zudem gibt es die Möglichkeit, mit der Funktion „Aktualisiere deinen Feed ‚Für dich‘“, eine Art Neustart durchzuführen: User*innen werden Inhalte dann so ausgespielt, als wären sie neu angemeldet und damit ihre vorher ausgewerteten Interessen nicht mehr in die Auswahl miteinbezogen. Mit der Funktion „Videostichworte filtern“ können Nutzer*innen die Wahrscheinlichkeit verringern, dass ihnen Videos zu bestimmten Themen angezeigt werden. Videos, die die angegebenen Stichworte in der Beschreibung enthalten, werden dann nicht mehr ausgespielt.

Screenshot aus TikTok von den Einstellungen zu den Inhaltspräferenzen und der Personalisierung

Quelle: eigener Screenshot (04.09.2023)

Außerdem können User*innen bei den einzelnen Kurzvideos, den Button „Nicht interessiert“ auswählen, damit ähnliche Videos zukünftig möglicherweise nicht mehr auf ihrem Feed landen. Unter diesem Button findet sich eine weitere Neuigkeit: Bei Klick auf „Warum dieses Video“ wird ein grober Einblick gegeben, welche Daten genau dazu geführt haben, dass dieses Video angezeigt wird. Nach einem Selbsttest werden dabei unter anderem folgende Gründe angezeigt: „Du hast ähnliche Videos geteilt“, „Dieses Video ist in deinem Land beliebt“, „Dieses Video ist länger und dir scheinen längere Videos zu gefallen“, „Du hast ähnliche Videos angeschaut“.

Funktion "Warum dieses Video" auf TikTok

Quelle: eigener Screenshot (04.09.2023)

Meta erklärt „KI-Systeme“

Auch das Unternehmen Meta, das die Plattformen Facebook, Instagram und WhatsApp betreibt, gewährt im sogenannten „Transparency Center“ Einblicke in die Mechanismen hinter den personalisierten Feeds von Facebook und Instagram. Meta spricht dabei von verschiedenen KI-Systemen, die beim Ranking der Inhalte ineinandergreifen. Die User*innen geben durch Daten, wie Interaktionen, Freundschaften etc. den Input für die KI-Systeme. Anhand verschiedener Algorithmen und stetigem Dazulernen werden durch die KI-Systeme weitere interessante Inhalte herausgesucht und ausgespielt.

Konkret erklärt Meta die Empfehlungsdienste anhand von „KI-Systemkarten“, die es jeweils für die einzelnen Inhaltsanzeigeoptionen der Plattform gibt: Bei Instagram beispielsweise für Stories, den Feed, die Reels, die Suche etc. In den jeweiligen Systemkarten ist aufgelistet, welche Signale den Input bilden, wie Vorhersagen getroffen werden und auch wie User*innen selbst anpassen können, was ihnen ausgespielt wird. So gibt es bei Instagram die Möglichkeit, einen chronologischen Feed auszuwählen, der die Inhalte nach Aktualität anzeigt, die neuesten erscheinen also zuerst. Diese Funktion gibt es auch für Stories und Reels und auch bei der „Explore-Page“ (dem For-You-Feed von Instagram) kann die Personalisierung deaktiviert werden. Zudem werden auch hier Tools vorgestellt, die es User*innen ermöglichen, bestimmte Inhalte nicht mehr zu sehen.

Kritik an Transparenz

Meta und TikTok stellen viele wichtige neue Funktionen vor, die User*innen eine selbstbestimmtere Nutzung von Social-Media-Plattformen ermöglichen sollen. Sie können sich durch das Eingeben bestimmter Stichworte oder das Klicken bestimmter Buttons davor schützen, mit für sie sensiblen Inhalten konfrontiert zu werden. Durch die Deaktivierung von Tools zur Personalisierung können sie sich außerdem selbst vielfältigere Feeds einstellen. Gleichzeitig erfahren sie durch Funktionen, wie „Warum dieses Video“ oder der Erklärung der KI-Systeme von Meta mehr darüber, wie sie selbst durch ihre Daten das Ausspielen bestimmter Inhalte begünstigen und können ihr Nutzungsverhalten so anpassen, dass sie für sie wichtige Themen und Creator*innen durch entsprechende Interaktionen unterstützen.

Zudem bieten diese neuen Einblicke die Chance, mehr über (KI-)Empfehlungssysteme und das Phänomen der Personalisierung zu erfahren. Sebastian Meineck kritisiert auf netzpolitik.org, dass Meta keine absolute Transparenz über die Daten erlaube, die in die Prognosen einfließen: „Überall steht dabei: ‚Zu den Signalen, die in diese Prognose einfließen, gehören‘. Das heißt, da ist vielleicht noch mehr.“ Diese Kritik lässt sich auch auf die „Warum dieses Video“-Funktion von TikTok übertragen, bei der ebenfalls vage formuliert wird: „Dein Feed ist personalisiert und es gibt viele Gründe, warum ein Video in deinem Feed angezeigt wird. Bei diesem Video gehört zu den Gründen möglicherweise: …“ (siehe Screenshot). Gerade TikTok ist bekannt für den Einsatz eines ausgeklügelten KI-Empfehlungssystems, das sich von anderen insbesondere dadurch abhebt, dass hier Video-, Sprach- und Textdaten schnell verarbeitet werden. Es ist also fraglich, ob bei der Funktion „Warum dieses Video” wirklich alle Daten, die das Empfehlungssystem auswertet, einfließen. Dennoch wurden durch die Verpflichtungen des DSA bereits einige wichtige Funktionen hinzugefügt, die User*innen ein Stück weit mehr Selbstbestimmung auf den Plattformen von Meta und TikTok erlauben.

Tipps für Fachkräfte

User*innen müssen sich zunächst mit den neuen Funktionen der entsprechenden Social-Media-Plattformen vertraut machen, um ihre Nutzung selbstbestimmt gestalten zu können. Fachkräfte sollten Kinder und Jugendliche über die neuen Funktionen zur Deaktivierung der Personalisierung auf den Plattformen informieren. So können die Jugendlichen selbst entscheiden, wie sie ihre Social-Media-Nutzung gestalten möchten.

Je nach Zielgruppe können die neuen Funktionen auch gemeinsam recherchiert oder direkt ausprobiert werden, beispielsweise mit der Methode der Rückwärtssuche: Als Ausgangspunkt dient der individuelle Feed, je nach Nutzungsvorlieben auf Instagram oder TikTok. Die Jugendlichen versuchen nun – unter Zuhilfenahme der KI-Systemkarten oder der Funktion „Warum dieses Video“ auf TikTok – herauszufinden, warum ihnen der entsprechende Inhalt wohl zugespielt wurde. So sind Jugendliche zukünftig in der Lage, zu reflektieren, wie ihre eigene Nutzung sowie die Angabe von Daten ihr Nutzungserlebnis beeinflusst.

Zudem bieten diese neuen Tools Anknüpfungspunkte, um beispielsweise die Funktion der Personalisierung zu besprechen. Gemeinsam kann erarbeitet werden, warum Personalisierung ein Teil des Geschäftsmodells von Social Media ist und wie die eigenen Daten damit zusammenhängen. Kinder und Jugendliche erfahren so etwas über die Phänomene Datenkapitalismus und ökonomische Interessen. In diesem Zusammenhang kann einleitend beispielsweise darüber diskutiert werden, wie viele Daten bei der Nutzung erhoben werden und inwiefern die Kinder und Jugendlichen damit einverstanden sind.

Darüber hinaus kann über Personalisierung und die Herausforderungen in Bezug auf die Meinungsbildung gesprochen werde: Warum könnten personalisierte Feeds eine Gefahr für die Demokratie darstellen? Je nach Zielgruppe kann hier auch der DSA und dessen Ziele, und damit ein Stück weit die EU-Politik, angesprochen werden.

Wie geht es weiter mit dem DSA?

Vor den „sehr großen“ Plattformen steht noch viel Arbeit, um den Forderungen des DSA gerecht zu werden. Ein paar Aspekte werden wohl auch erst 2024 umgesetzt, zudem reagieren die Plattformen unterschiedlich schnell auf den DSA: So konnten wir bisher noch keine Äußerungen von beispielsweise YouTube oder Twitter (X) in Bezug auf den DSA finden. Das ACT ON!-Team hat dennoch ein Auge darauf und wird in einem Überblick weitere relevante Änderungen im Zuge des DSA vorstellen
Marie Kätzlmeier