Quelle: pexels.com
Insbesondere im Zusammenhang mit der Plattform TikTok fällt häufig der Begriff „Trend“. „Das ist eben gerade ein TikTok-Trend“, berichten uns Kinder und Jugendliche in medienpädagogischen Workshops häufig. Was genau mit einem TikTok-Trend gemeint ist, welche aktuellen Trends es gibt und wie diese gemeinsam mit Kindern und Jugendlichen reflektiert werden können, erfahren Sie in diesem Beitrag.
Die Kurzvideo-Plattform TikTok ist bekannt für ihre Schnelllebigkeit: Trends können sich wöchentlich, wenn nicht sogar täglich ändern. Ein Trend kann dabei vieles sein: In den meisten Fällen versteckt sich dahinter ein bestimmter Sound (Song oder Sprachaufnahme), den viele TikToker*innen auf ihre eigene Weise interpretieren. Es kann sich aber auch um einen Hashtag handeln, den viele Creator*innen aufgreifen. Im Fokus steht bei einem Trend also nicht eine spezielle Machart des Videos, sondern vielmehr eine gemeinsame Grundlage wie ein Lied oder eine Bewegungsabfolge, die von möglichst vielen Menschen in eigenen Videos individuell interpretiert wird. Solche Trends verschwinden meist innerhalb von wenigen Wochen von der Bildfläche und werden vom neuen Trend abgelöst.
Es gibt auch Trends, die sich für längere Zeit halten. Diese beziehen sich allerdings nicht auf einen bestimmten Sound, sondern sind gekennzeichnet durch bestimmte Ästhetiken sowie Haltungen und Lebensstile. Außerdem gehen sie meist auch über TikTok hinaus: Plattformen, wie Instagram und YouTube, haben mit den Funktionen Reels und Shorts in den letzten Jahren ebenso ein Feature für Kurzvideos eingebaut, wobei die Kurzvideos häufig durch die Trends auf TikTok inspiriert sind. Hier kann also von Social Media-Trends gesprochen werden. Diese werden nach und nach Teil der Populär- und Konsumkultur und erreichen so auch viele Kinder und Jugendliche, die sich auf den Plattformen bewegen.
Trends können Anhaltspunkte dafür sein, welchen Inhalten Kinder und Jugendliche unter anderem in Social-Media-Angeboten begegnen. Inhalte auf Social Media können Rollenbilder, Sexualität, Stereotype oder Lebensstile reproduzieren und als Orientierung für Kinder und Jugendliche in der Identitätsfindung dienen. Für Fachkräfte können Trends daher eine wichtige Grundlage für die Auseinandersetzung mit jugendlichen Lebenswelten und Erfahrungen in digitalen Räumen sein. Einige Trends der vergangenen Monate finden Sie im Folgenden beschrieben. Wenn Sie die jeweiligen Hashtags auf der Plattform TikTok eingeben, erhalten Sie Beispielvideos.
#thatgirl
Während sich andere um neun Uhr aus dem Bett quälen, scheinen einige TikToker*innen bis dahin schon ihre gesamte ToDo-Liste abgehakt zu haben. Bei diesen klingelt der Wecker schon um fünf Uhr, dann wird aufgeräumt, ins Tagebuch geschrieben und reflektiert, ein gesunder Smoothie gemischt und eine Runde Sport gemacht. Nach einem ausgewogenen und gesunden Frühstück geht es dann zwischen 8 und 9 Uhr los zum Job, in die Schule oder in die Uni. „That Girl“ scheint ihr Leben also im Griff zu haben und gibt ihrer Community Tipps, mit welchen Routinen sie ein ebenso ausgeglichenes und glückliches Leben führen kann. Obgleich diese Creator*innen einen gesunden Lebensstil propagieren, ist der Trend mit jungen Menschen kritisch zu reflektieren. Ihre Beiträge können User*innen durchaus positive Inspiration liefern. Allerdings können sie auch dazu führen, User*innen unter Druck zu setzen, denn: Vermeintliche Fehler scheinen in den Routinen eines „That Girls“ keinen Platz zu haben. Zudem platzieren die Creator*innen in ihren Beiträgen gekonnt Werbung, z. B. für Nahrungsergänzungsmittel oder Sportbekleidung.
#luckygirlsyndrome
Für Creator*innen “ hängt alles am richtigen Glaubensansatz oder an einer Affirmation. Affirmationen sind dabei bekräftigende Leitsätze, die sich die Creator*innen regelmäßig vor Augen halten, beispielsweise Sätze wie “Ich bin glücklich” oder “Mir passiert nur Gutes”. In ihren Beiträgen erklären sie, wie Menschen dafür sorgen können, dass ihnen (vermeintlich) ausschließlich Gutes passiert und sie glücklich werden: Das funktioniere eben durch das ständige Zusprechen solcher Affirmationen. Sie vermitteln also, dass das Glück von den richtigen Gedanken angezogen wird. Während diese Haltung in manchen Lebenssituationen sicherlich weiterhelfen kann, warnen Expert*innen vor der toxischen Positivität, die der Trend vermittle. Negativen Emotionen werde in diesen Videos kein Raum gegeben, da sie direkt durch den nächsten positiven Gedanken ersetzt werden. Dabei werde zum einen verkannt, dass positive Gedanken nicht allein zu Erfolg führen und zum anderen, dass negative Gefühle für Menschen wichtig seien, um sich beispielsweise weiterzuentwickeln. Zudem werden Einschränkungen, bedingt durch Krankheit, Behinderung oder soziokultureller Herkunft in dieser Haltung ignoriert. So kann auch dieser Trend Kinder und Jugendliche unter Druck setzen, die noch lernen, mit Emotionen umzugehen. Zudem kann er gerade für die Selbstbestimmung und das Empowerment von Kindern und Jugendlichen herausfordernd sein, die weniger privilegiert aufwachsen. Videos mit dem Hashtag #luckygirlsyndrome finden sich häufiger bei weiblichen* Creatorinnen, jedoch nehmen auch männliche Creator den Trend auf.
#tradwife, #femininity und #alphamale
Bei diesen drei Trends ist eine Geschlechterspezifik erkennbar. Denn bei allen dreien werden veraltete Geschlechterstereotype in den Fokus gerückt, die sich explizit gegen feministische Haltungen richten. Der Hashtag #tradwife ist eine Abkürzung von „traditional wife“. Hier finden sich zahlreiche Videos, in denen Frauen das weibliche Rollenbild der 50er Jahre in Szene inszenieren. Sie führen dabei traditionell weibliche Tätigkeiten wie Kochen und Putzen aus, ordnen sich ihrem Mann unter und sprechen sich bewusst für dieses Rollenbild aus. Sie ordnen sich damit einer antifeministischen Haltung zu. Diese Inszenierung ist durch TikTokerinnen auch unter den Hashtags #femininitynotfeminism oder #femininity zu sehen: Spirituelle Coach*innen verraten dabei, wie gut es ihnen damit gehe, ihre Femininität auszuleben. Dabei identifizieren sie sich mit traditionell weiblichen Geschlechtszuschreibungen, sie konkurrieren nicht mit Männern und lehnen für sich Eigenschaften und Charakterzüge ab, die mit dem männlichen Geschlecht konnotiert werden. Obgleich – wie die Sozialwissenschaftlerin Mareike Fenja Bauer anmerkt – nicht pauschal jede Darstellung eines konservativen Bildes demokratiegefährdend ist, vermitteln diese TikTokerinnen Rollenbilder, bei denen patriarchale und hierarchische Strukturen nicht hinterfragt und damit weiterhin geduldet werden. Ähnlich verhält es sich auch beim männlichen Pendant: Unter dem Hashtag #alphamale reproduzieren TikToker veraltete Männlichkeitsbilder. Der Mann habe dabei die Rolle „des Ernährers, Beschützers, Anführers, des Aggressors“. Nicht selten wird dabei auch Gewalt gegenüber Frauen gerechtfertigt. Dieser Trend kann Kinder und Jugendliche in ihrer Identitätsfindung sowie in Orientierungsprozessen beeinflussen, weshalb ein reflektierter Umgang mit solchen Inhalten wichtig ist. Kinder und Jugendliche können dabei in pädagogischen Kontexten unterstützt werden.
Tipps für Fachkräfte
Die Vorstellungen und Erwartungen, die hinter den hier vorgestellten Social Media-Trends stecken, können bei Fachkräften und Eltern mit Blick auf ihre Kinder durchaus zu Sorgen führen. Gerade die Plattform TikTok steht hierbei häufig in der öffentlichen Kritik. Hilfreicher als ein Nutzungs-Verbot ist jedoch die Begleitung der Kinder und Jugendlichen im Umgang mit Social Media-Angeboten. So können belastende Inhalte besprochen und reflektiert werden. Hierfür sind eine Vertrauensbasis sowie eine Offenheit für die jugendliche Lebenswelt die wichtigsten Grundlagen.
Für Kinder und Jugendliche ist es also wichtig zu lernen, die Inhalte und Stereotype, denen sie auf Social Media begegnen, reflektieren zu können. Aufgabe von pädagogischen Fachkräften ist es, junge Menschen dabei zu unterstützen. Da diese Inhalte im Feed durch die individuellen Präferenzen der Kinder und Jugendlichen, die sich auf den Algorithmus auswirken, durchaus unterschiedlich sein können, ist es gerade bei diesem Thema hilfreich, die Kinder und Jugendlichen nach ihren Erfahrungen zu fragen. So wird auch vermieden, junge Menschen auf herausfordernde Trends aufmerksam zu machen, die sie bisher noch nicht kannten. Folgende Leitfragen können bei einem moderierten Gespräch unterstützen:
- Welche Trends kennst du?
- Hast du einen Liebslings-Trend? Und wenn ja, warum?
- Gibt es einen Trend, den du nicht gut fandest? Und wenn ja, warum?
- Was ist das letzte Video, das du über Social Media geteilt hast? (Freiwillig)
- Welches Video, das du in letzter Zeit gesehen hast, ist dir im Kopf geblieben? Warum ist es dir im Kopf geblieben? Hat es dich überrascht, irritiert, dir gefallen oder nicht gefallen?
- Wer hat das Video veröffentlicht und warum denkst du, hat die Person es hochgeladen?
- Was denkst du, möchte der*die Creator*in rüberbringen?
Über die Erfahrungen der Kinder und Jugendliche kann so über Stereotype gesprochen werden, die den Videos zu Grunde liegen und mögliche Herausforderungen diskutiert werden. Dabei können auch Beispielvideos angeschaut und diskutiert werden.
Praxistipp
Die Plattform TikTok bietet mit der Funktion Stitches die Möglichkeit, Videos von anderen Creator*innen in den eigenen Content einzubinden und so direkt auf diese zu reagieren. Die Influencerin Tara Louise Wittwer (@wastarasagt) entlarvt in ihrem Format „TikToxic“ beispielsweise problematische, antifeministische Äußerungen – als Satire verpackt. Solche Videos bieten Inspirationen für eine eigene Medienproduktionen: So können Kinder und Jugendliche auf kreative Weise herausfordernde Trends reflektieren und sich selbst positionieren.
Marie Kätzlmeier