Selbstinszenierung und Rollenbilder in Social Media-Angeboten

12.11.2020 | Aktuelles

Ein Mädchen schaut in die Kamera.

Wirft man einen Blick auf die Sichtbarkeit der Geschlechter auf Social Media-Plattformen, wird klar: Erfolgreiche Frauen sind auf Instagram und YouTube unterrepräsentiert. Unter den Top 100 Instagrammer*innen und den 100 beliebtesten YouTube-Kanälen gilt das Verhältnis 1:2 von weiblichen zu männlichen Protagonist*innen (vgl. Malisa Stiftung 2019: 2; Prommer, Wegener 2019: 4, 12), wie eine Studie der Universität Rostock und der Filmuniversität Babelsberg im Auftrag der MaLisa Stiftung ergab.

Männer beschäftigen sich mit breiteren Themenfeldern als Frauen

Weibliche YouTuberinnen beschäftigen sich überwiegend mit Themen, die als typisch weiblich gelten – zum Beispiel Beauty, Beziehung und Partnerschaft, Basteln, Mode und Food. Sie bieten häufig serviceorientierte Formate an, wie How-Tos, zeigen sich im privaten Umfeld und stellen ihre Tätigkeit als Hobby dar. Männer auf YouTube behandeln hingegen mehr Themen und Genres, zum Beispiel Games, Musik, Wissen und Unterhaltung. Sie deklarieren ihre Tätigkeit häufiger als professionelles Handeln und zeigen sich oft im öffentlichen statt im privaten Raum (vgl. Malisa-Stiftung 2019: 4 f.; Prommer, Wegener 2019: 5 f., 12).

Das eingeschränkte Themenfeld von YouTuberinnen hängt nicht unbedingt nur mit ihren Interessen zusammen – in einer Studie befragte Influencerinnen berichten von stereotypen Zuschauer*innen-Erwartungen und „damit verbundenen kritischen, mitunter bösartigen Kommentaren, sobald sie den normierten Erwartungen widersprechen“ (Malisa Stiftung 2019: 3; vgl. auch Prommer, Wegener 2019: 10) und sich mit neuen Themen beschäftigen. Das Genre Beauty sei für Influencerinnen hingegen ein Bereich, der sich sicher anfühle – unter anderem da das Handeln hier erwartungskonform und die Zielgruppe homogen ist. Dieses Themenfeld zu behandeln, erscheint vielen als lukrativ (vgl. Prommer, Wegener 2019: 7).

Äußerliche Darstellung von Influencer*innen

Neben der Sichtbarkeit und den behandelten Themen spielt natürlich das äußere Erscheinungsbild der Influencer*innen eine große Rolle. Welche Art von Bildern posten sie, wie präsentieren sie sich dabei?

Die erfolgreichsten männlichen Influencer in Deutschland sind vor allem Fußballer, wie Toni Kroos, Mesut Özil und Marc-André ter Stegen. Sie repräsentieren überwiegend typische Bilder von Männlichkeit, beispielsweise als muskulöse und selbstbewusste Sportler.

Unter den Influencerinnen sind vor allem solche Frauen erfolgreich, die einem normierten Schönheitsideal entsprechen, also beispielsweise dünn und langhaarig sind (vgl. Malisa Stiftung 2019: 3). „Je plakativer das Klischee, umso besser wird es geklickt. […] Je mehr du einem gewissen Schönheitsideal entsprichst oder einer gewissen Erwartung, […] verdienst du natürlich besseres Geld. Die jungen Zuschauer sind unglaublich in Klischeerollen behaftet“, so die Meinung einer befragten YouTuberin (Malisa Stiftung 2019: 12; Prommer, Wegener 2019: 8).

Grundsätzlich lässt sich sagen, dass das Aussehen bei Influencer*innen eine extrem große Rolle spielt, sie stellen ihren Körper in den Mittelpunkt ihrer Posts . Das Ergebnis sind „[…] ähnliche Bilder mit typischen Ausprägungen hinsichtlich Körperhaltung, Gestik, Blickverhalten und Mimik, Kleidung und Orten sowie Kennzeichen des Gesamtbildes der Selbstinszenierung“ (Götz, Becker 2019: 31). Bestimmte Posen und Muster werden immer wieder aufgegriffen, um sich bestmöglich in Szene zu setzen und zugleich eine vermeintliche Spontanität und Natürlichkeit auszudrücken – wobei die Bildproduktion in der Realität aufwändig und hoch professionell erfolgt. Beispiele für solche typischen Posen unter Influencerinnen sind der vermeintlich zufällige Blick über die Schulter, ebenso wie der angewinkelte Arm mit einer Hand, die scheinbar beiläufig im Haar liegt (vgl. Malisa Stiftung 2019: 7)

Wirkung auf Kinder und Jugendliche

Influencer*innen sind für Kinder und Jugendliche wichtige Vorbilder, auch in Bezug auf ihr biologisches Geschlecht und ihre Geschlechtsidentität. Viele Kinder und Jugendliche werden stark durch die von Influencer*innen vorgelebten stereotypen Darstellungen geprägt. Pädagogische Fachkräfte können an diesem Punkt ansetzen und junge Menschen gezielt mit Gegenbeispielen konfrontieren. Denn stereotype Geschlechterdarstellungen sind nur eine Seite von Social Media-Angeboten – diese bilden auch Diversität und Vielfalt ab. Es gibt beispielsweise Influencer*innen, die Social Media-Plattformen gezielt nutzen, um Rollenklischees aufzulösen und vielfältigere Geschlechtsidentitäten aufzuzeigen. Beispiele hierfür sind Jazz Jennings (Instagram: jazzjennings_) oder Kai Wes Bigwood (Instagram: kai__wes).

Auf solche Inhalte stoßen Kinder und Jugendliche in der Regel nur dann, wenn sie gezielt danach suchen. Junge Menschen, die das nicht tun, werden online eher stereotypen Geschlechterdarstellungen begegnen. Daher ist es sinnvoll, dass pädagogische Fachkräfte das Thema aufgreifen und mit Kindern und Jugendlichen über Profile sprechen, die ein anderes Frauen- bzw. Männerbild zeigen, als die meisten populären Influencer*innen es tun.

Mädchen, die Influencerinnen folgen, legen größeren Wert darauf, schlank zu sein und optimieren ihre Bilder generell stärker. Dabei orientieren sie sich, ebenso wie Jungen, an normierten Schönheitsstandards. So lassen Jungs durch Filter und Tricks beispielsweise ihre Schultern breiter erscheinen und Mädchen ihre Brüste größer (vgl. Malisa Stiftung 2019: 6, 8 f.). Um zu verhindern, dass die Selbstdarstellung auf Social Media-Plattformen immer gleichförmiger wird, sollten pädagogische Fachkräfte das Gespräch mit Kindern und Jugendlichen suchen. Dabei muss ihnen vermittelt werden, dass sie sich nicht von stereotypen Darstellungen unter Druck setzen lassen und sie sich nicht an traditionelle Geschlechterdarstellungen anpassen müssen. Das Thema Selbstliebe kann hier eine große Rolle spielen – Influencer*innen wie Marie Ehlers (Instagram: mind.corner) und Julia Kremer (Instagram: schoenwild) beschäftigen sich damit und bearbeiten das Thema in ihren Beiträgen.

Kurz gesagt

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Social Media-Plattformen eher stereotype Geschlechterdarstellungen abbilden. Es gibt allerdings auch zahlreiche vielfältige Inhalte fernab dieser Klischees. YouTube, Instagram und Co. bieten die Möglichkeit andere über alternative Lebensformen und Geschlechtsidentitäten zu informieren, sie zum Nachdenken anzuregen und Orientierung für Kinder und Jugendliche zu geben, die sich diesem binären Geschlechtskonzept nicht zugehörig fühlen. Die Plattformen stellen zudem eine Chance dar, dass Menschen zusammenfinden und sich vernetzen. Die Sichtbarkeit von Personen mit alternativen Geschlechterverständnissen kann so erhöht werden.

Gespräche und Projekte zum Thema „Selbstdarstellung und Rollenbilder in den Sozialen Medien“ sind wichtig, um Kinder und Jugendliche zur kritischen Reflexion anzuregen und sie dabei zu unterstützen, mit dem Druck nach Anpassung, Perfektion und Optimierung umzugehen.

Lilly Werny