„Wir alle spielen Theater”, so heißt ein in der Soziologie bekanntes Werk von Erving Goffman. Er beschreibt darin die verschiedenen Rollen, die wir im Alltag einnehmen, um uns selbst darzustellen. Selbstdarstellung ist damit kein Phänomen, das nur im digitalen Raum stattfindet. Aufgrund der vielfältigen Möglichkeiten, die vor allem Social-Media-Angebote zur Selbstdarstellung bieten, wird das Thema in den letzten Jahren verstärkt diskutiert.
Grundlegend wird unter dem Begriff Selbstdarstellung die bewusste Präsentation der eigenen Person gegenüber anderen verstanden. Wie sich dabei präsentiert wird, hängt davon ab, in welchem sozialen Umfeld sich die Person befindet: So ist das Verhalten im beruflichen Kontext beispielsweise anders als im familiären. Die Selbstdarstellung kann dabei authentisch sein, in vielen Fällen wird sich aber absichtlich vorteilhaft und von der besten Seite gezeigt.
Selbstdarstellung als identitätsstiftende Praxis für Jugendliche
Selbstdarstellung bedeutet also auch, verschiedene Rollen auszuprobieren. Das Ausprobieren und Wechseln zwischen diesen ist gerade für Jugendliche hilfreich: „Es gehört zur Phase der Identitätsfindung sich selbst zu präsentieren und auszutesten, wie man auf andere wirkt – gerade auch digital.”, erklärt Frag Barbara!, der Elternratgeber von saferinternet.at.
Dafür eignen sich insbesondere Social-Media-Angebote: Zum einen spielt Selbstdarstellung in den meisten Profilen eine große Rolle. Die diversen Darstellungen von Rollenbildern, Lebensweisen, geschlechtlicher Identität oder sexueller Orientierung etc. können Jugendliche inspirieren und sie bei der Identitätsfindung unterstützen. Das ist gerade dann wichtig, wenn in der Familie oder Peergroup über bestimmte Themen nicht gesprochen werden kann oder es keine diversen Vorbilder gibt. Außerdem erhalten sie in Form von (Dis-)Likes und Kommentaren direkt Feedback auf Fotos oder Videos, in denen sie sich selbst zeigen. So erfahren Jugendliche schnell, wie ihr Identitätsbild auf andere wirkt.
Angst vor Hate Speech und negativen Reaktionen
Jedoch kann genau dieses Feedback für Jugendliche herausfordernd sein. Bei Befragungen im Rahmen der ACT ON!-Monitoringstudie berichteten Jugendliche beispielsweise, dass sie auf Inhalte, die sie bei TikTok hochladen, nicht selten kritische oder sogar hasserfüllte Kommentare erhalten. Worauf sich der Hass bezieht, ist den Jugendlichen nicht immer erklärbar. Einige erzählen jedoch, dass sie auf der Plattform besonders dann mit negativen Kommentaren konfrontiert werden, wenn die Inhalte nicht dem aktuellen als ästhetisch geltenden Stil der Plattform entsprechen. Außerdem bietet − laut den befragten Jugendlichen − auch das Zeigen von gesellschaftlich nicht anerkannten Körper- oder Geschlechterbildern Anlass für Hate-Kommentare. Die Grenze zwischen Hate Speech und Online-Mobbing kann dabei fließend sein.
Während Hate Speech und negative Kommentare für die Betroffenen zunächst verletzend sein können, beeinflussen solche Reaktionen auch das Verhalten anderer junger Nutzer*innen auf der Plattform: Um negative Reaktionen zu vermeiden bzw. das Streben nach positiver Anerkennung zu befriedigen, passen sich Jugendliche gesellschaftlichen Idealen an, die in Social-Media-Angeboten reproduziert werden, und stehen damit unter einem Konformitätsdruck.

Identitätsfindung bei Jugendlichen
Orientierung an klassischen Rollenbildern
Deutlich wird, dass Social-Media-Inhalte Jugendliche auch verunsichern können. Während sich grundsätzlich in Social-Media-Angeboten vielfältige Darstellungen von Rollen- und Körperbilder finden, bedienen die erfolgreichsten Influencer*innen der Plattformen meist klassische Stereotype. Um ebenfalls positive Reaktionen und Anerkennung zu erhalten, orientieren sich Jugendliche bei ihren eigenen Postings an diesen bekannten Vorbildern.
Diese Orientierung ist für Jugendliche auch deshalb herausfordernd, weil Influencer*innen sich häufig in einem ausschließlich positiven und damit teilweise realitätsverzerrenden Bild darstellen. So können sich Jugendliche unter Druck gesetzt fühlen, dieses Idealbild ebenfalls erfüllen zu müssen. Ein Beispiel dafür ist der häufige Einsatz von Schönheitsfiltern in Social-Media-Angeboten, der Jugendlichen Körperbilder vermittelt, die nicht der Realität entsprechen. Weiterhin können auch sexualisierte Inhalte, die auf Social-Media-Plattformen viele Klicks und Likes generieren, bei Jugendlichen den Druck erzeugen, sich ebenfalls freizügig zeigen zu müssen.
Tipps für Fachkräfte
Um Jugendlichen den Druck nach Konformität und Selbstoptimierung zu nehmen, ist es wichtig, mit ihnen über die Idealbilder, die ihnen im digitalen Raum begegnen, zu sprechen. Gemeinsam kann reflektiert werden, inwiefern gepostete Bilder bzw. Inhalte der Realität entsprechen. Geeignete Methoden dafür sind z. B. das Influencer*innen-Profiling oder der Instagram-Bildercheck. Ein geeignetes Medium, um Realitätsverzerrungen deutlich zu machen, sind außerdem sogenannte Insta- vs. Reality-Posts. Das sind Posts, bei denen zwei Bilder gegenübergestellt werden: Auf der einen Seite findet sich ein für Instagram typisch geltendes Foto, auf dem alles vermeintlich perfekt aussieht und die Person einen Filter benutzt. Auf der anderen Seite wird gezeigt, wie das Bild sowie die Person ohne Filter aussehen würde. Die Posts zeigen auf eine niederschwellige Art und Weise die vielfältigen Möglichkeiten der Selbstdarstellung auf der Plattform Instagram und bieten Gesprächsanlässe.
Zudem sollten Jugendliche sich den Herausforderungen bewusst sein, denen sie beim Veröffentlichen von Inhalten, in denen sie sich selbst präsentieren, gegenüberstehen. Trotzdem sollten Jugendliche darin bestärkt werden, auch Inhalte abseits von Normvorstellungen zu veröffentlichen und sich dabei nicht von möglichen negativen Reaktionen abhalten zu lassen. Wichtig ist es auch, Jugendlichen Tipps für den Umgang mit Hate Speech an die Hand zu geben, diese finden Sie in diesem Beitrag.
Gemeinsam kann außerdem nach diversen Vorbildern, die sich entgegen gängigen Normvorstellungen im digitalen Raum präsentieren, gesucht werden. Beispiele hierfür sind die Influencer*innen Riccardo Simonetti, der sich gegen Geschlechterstereotype positioniert, oder Melodie Michelberger, die Körperideale thematisiert und abweichende Körperbilder normalisiert.